Tricolora

Die Geschichte eines Musikerkollektivs und von drei besonderen Menschen

aufgezeichnet von Klaus Stark

Ich bin Dietmar aus Leipzig. Bei mir ging das mit der Musik los, als ich in die Lehre kam. Da hab ich zuerst angefangen mit Blues, das war 1970. Während der Armeezeit gründete ich eine Singegruppe. Als ich wiederkam, waren meine Blues-Kumpels mehr oder weniger alle weg. Über West-Radio habe ich von Folk-Musik gehört. Die ersten, die ich gehört habe, waren deutsche Folk-Bands wie Zupfgeigenhansel, Liederjan, Elster Silberpflug. Und dann Mitte der 70er Jahre die Dubliners. Das war für mich die Initialzündung, da dachte ich: Was ist denn das für eine Musik? Ich fand das toll und hab mich darum gekümmert. In meiner Stammkneipe haben wir Freitagabends an den Tischen immer mal gesungen und da kamen wir auf die Idee, eine Band zu gründen.

Ich bin Karin und in der Thomas-Müntzer-Stadt Mühlhausen aufgewachsen. Ich war Kunstturnerin. Und dann, nach einer Verletzung, Tischtennisspielerin. Beides sehr erfolgreich. Mit 14 Jahren sind wir umgezogen in die Martin-Luther-Stadt Eisenach. An der erweiterten Oberschule wollte mich der Lehrer dann unbedingt im Chor haben, ich sollte Altstimme singen, bin aber Sopran. Aus Trotz bin ich deshalb in die Singegruppe gegangen. In meiner Kindheit wollte ich immer Klavier lernen und tanzen – durfte ich aber nicht. Mit 15 habe ich mich endlich durchgesetzt und durfte Gitarre lernen. Ich hab in den Sommerferien drei Wochen lang Rosen veredelt, mir für 210 DDR-Mark eine Gitarre gekauft und Unterricht genommen. Zwei Jahre lang.

Ich bin der Cirilo aus Santiago de Chile. Meine Oma spielte Gitarre, mein Onkel, mein Papa auch. Mit neun oder zehn hab ich den Auftrag bekommen, die Linie fortzusetzen. Ich war nicht dafür, aber mein Papa hat gesagt: Wahrscheinlich kannst du das machen! In der Schule gab es schöne Mädchen und es gab Konkurrenz zwischen den Jungs, wer am besten spielte, konnte die Mädchen erobern. So hab ich Gitarre gelernt. Als ich 16 Jahre alt war, hat mein Bruder viele Lieder von Victor Jara und Violetta Parra nach Hause gebracht, das hat uns alle beeinflusst, dass wir an der Stelle von Rock lieber unsere eigene Musik pflegen. Ich hatte schon meine zweite Gruppe, Leña Dureza, Hartes Holz, bis zum Militärputsch. Im November 1973 kam ich nach Deutschland.

Treffpunkt Moritzbastei

Mitte der 70er Jahre treffen sich Dietmar, Karin und Cirilo in Leipzig. Dietmar spielte inzwischen bei den Folk­ländern und erregte Aufsehen durch seinen Dudelsack. Karin studierte an der Karl-Marx-Universität Philosophie und bekam 1981 Berufsverbot als Lehrerin wegen politischer Renitenz. Aber das ist eine andere Geschichte. Cirilo war nach der Flucht aus Chile ebenfalls in Leipzig untergekommen, wohnte im Internat an der Lumumba-Straße, studierte Diplom-Lehrer und gründete die Gruppe Alerce. Er litt unter dem kühlen, regnerischen Klima in der DDR und wunderte sich über die grauen Häuser, weil in Chile die meisten Häuser viel farbiger sind.
Alle drei trafen sich in der Moritzbastei, einem Jugend- und Studentenzentrum – oder eigentlich einer alten Festungsanlage, die in mühsamer Aufbauarbeit Stunde für Stunde „wieder ausgebuddelt“ wurde, wie sich Karin erinnert. Sie kümmerte sich damals ehrenamtlich um das Veranstaltungsmanagement. Dietmar spielte zum Volkstanz auf, Cirilo bei Alerce. Und Karin war sowieso überall dabei: „Ich bin da rumgehopst mit zwei blonden Zöpfen zum Tanzen, wo Dietmar mitgespielt hat. Und Cirilo kannte ich von den Konzerten des Ensembles Solidarität.“

Dietmar studierte in den 80er Jahren in Heiligendamm Design, gründete dort die Gruppe Sanddorn, arbeitete in einem Puppentheater als Ausstatter und dann über 20 Jahre als Grafik-Designer. Aber er blieb der irischen Folklore treu: In den 90ern gründete er die Band Sunny Spells.

Karin zog 1987 aus privaten Gründen nach Berlin und erlebte den Mauerfall in einem Seminar über den „Dritten Weg zum Sozialismus“. Nach der Wende schmiss sie die Uni-Karriere und saß seit 1995 für die Linke drei Wahlperioden lang im Berliner Abgeordnetenhaus.

Cirilo ging im Dezember 1988 zurück nach Chile, arbeitete im Bildungsministerium und widmete sich vor allem der Inklusion. 1999 wurde er zu einem Projekt ins ostdeutsche Uhlenkrug eingeladen, lernte dort seine zweite Frau kennen und blieb in Berlin hängen.

Die Gruppe Sanddorn mit Liliane, Siggi und Dietmar (von li.)
Treffpunkt Abgeordnetenhaus

Ich sitz in meinem Büro im Abgeordnetenhaus, da geht's Telefon. Sagt eine Männerstimme: "Hallo? Eine Freundin hat gesagt, ich soll bei dir anrufen, du kannst mir helfen. Ich bin ein Chilene. Ich will hier bleiben, ich hab mich verliebt. Aber ich bin illegal. Ich hab keinen Aufenthalt mehr. Was mach ich jetzt?" Da hab ich so gehorcht und sage: "Entschuldigung, warst du mal in Leipzig? Hast du da Musik gemacht? Bist du der von der Gruppe Alerce?" Sagt er: "Ja." Sag ich: "Ich hör das an deiner Stimme. Dann bist du der Cirilo." So haben wir uns wiedergetroffen.

Karin über das Wiedersehen im Jahr 1999. Beide entwickeln ab 2002 ein musikalisches Pro­gramm mit Texten von ihr und Liedern von ihm. Sie treten damit auf, im Literatur-Café in der Rosa-Luxemburg-Straße und anderswo.

Treffpunkt Mrs. Lovell

Das war im Jahr 2011, da gab es in der Bar Mrs. Lovell in der Gneisenaustraße ein Open Stage und da traf sich ein Haufen Leute. Ich hab auch hin und wieder gesungen. Irgendwann stand eine Frau im Raum, auf diesem kleinen Bühnenareal, und sang ein russisches Lied. Ein russisches Volkslied. Da hab ich erst mal zugehört. Nachher bin ich an den Tisch eines Bekannten, mit dem ich noch was besprechen wollte, und da saß Karin. Da kamen wir eigentlich ins Gespräch, ich weiß gar nicht, wie lange. Und was ich früher bei interessanten Frauen immer verpennt hatte: Ich gab diesmal Karin meine Visitenkarte!

Dietmar über das Wiedersehen mit Karin. Sie bringt ihn mit Cirilo zusammen, gemeinsam musizieren sie auf der Fête de la Musique.

Cirilo als junger Grünschnabel bei der Gruppe Alerce
Treffpunkt Tricolora

Jetzt ist nur noch die Geschichte zu erzählen, wie Tricolora gegründet wurde. Und die geht so: Im Sommer 2016 hatte Karin einen Beraterjob bei der Arbeiterwohlfahrt Neuruppin, dort stand gerade die Jahresfeier für 140 Beschäftigte an. Der Chef wollte zur Abwechslung mal etwas Neues und bat Karin mit ihrer großen Erfahrung im Kulturmanagement um Rat. Die dachte kurz nach und fragte dann Dietmar und Cirilo: „Jungs? Jungs? Wollen wir ein Konzert für die AWO Ostprignitz-Ruppin machen, am 9. September? Wollen wir das?“ Zwar hatten sie nur zwei Wochen Zeit zur Vorbereitung, aber sie wollten. Zu dritt legten sie ein sattes Konzert hin, fuhren am nächsten Tag gleich noch zum Windros-Festival nach Schwerin und das Künstlerkollektiv Tricolora war geboren.