(1) Klimawandel

Der Klimawandel betrifft auch Berlin. Was sind aus Ihrer Sicht die drei wichtigsten Maßnahmen, um ihn aufzuhalten oder zumindest zu verlangsamen?

Der Klimawandel ist die größte Herausforderung für uns und hat hohe Priorität für unser Handeln. Wir wollen bis spätesten 2045 klimaneutral sein und den CO2-Ausstoß bis 2030 um 70 Prozent reduzieren. Konkret wollen wir dies mit den folgenden Maßnahmen angehen:

1. Umstellung der Stromversorgung auf erneuerbare Energien bis 2040
2. Den öffentlichen Personennahverkehr und die Radverkehrsinfrastruktur bauen wir aus.
3. Umbau unserer Industrie auf klimafreundliche Verfahren. Somit sichern wir zugleich gute Arbeitsplätze und erhalten den Industriestandort Berlin.

(2) Wohnen

Die Mieten in Berlin klettern immer höher, gleichzeitig steigt das Risiko für Mieter:innen, wegen Umwandlung in Eigentums-, Ferienwohnungen etc. gekündigt zu werden. Was wollen Sie dagegen unternehmen und halten sie speziell die Enteignung großer Wohnungsunternehmen für hilfreich?

Wir müssen vor allem bauen, deckeln, kaufen. Olaf Scholz möchte als Bundeskanzler pro Jahr 400.000 Wohnungen in Deutschland bauen. Davon sollen 100.000 Wohnungen als geförderte Sozialwohnungen ausgewiesen werden. Als Berliner SPD ist es unser Ziel, alleine bis 2030 200.000 neue Wohnungen – davon 70.000 Wohnungen durch landeseigene Unternehmen – zu bauen. Alleine der Neubau von Wohnungen würde die Lage auf dem Wohnungsmarkt entspannen.

Leider hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das Land Berlin seine Kompetenzen in Bezug auf den Mietendeckel überschritten hat. Umso mehr begrüße ich, dass die SPD auf Bundesebene ein in angespannten Wohnlagen ein zeitlich befristetes Mietenmoratorium einführen möchte: Mieten können dort im festgelegten Zeitraum nur in Höhe der Inflationsrate erhöht werden. Wir sind weiterhin entschlossen, alle möglichen Instrumente zu nutzen, um die Mieter:innen dieser Stadt zu schützen. Wir wollen, dass auch das Land Berlin Milieuschutzgebiete ausweisen kann. Somit schützen wir effektiv vor Verdrängung und gehen gegen die Umwandlung von Wohnungen in Eigentumswohnungen oder Ferienwohnungen vor.

Die Enteignung großer Wohnungsbauunternehmen ist ein kontrovers diskutiertes Thema, dass vor allem nach der negativen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wieder Auftrieb erhalten hat. Ich bin persönlich der Überzeugung, dass die Enteignung ein richtiges Druckmittel auf die Immobilienwirtschaft ist, um Spekulanten abzuschrecken. Allerdings habe ich große juristische Zweifel an dem Vorhaben. Zudem wird das ganze Verfahren sehr langwierig sein und Geld kann man auch nur einmal ausgeben. Für mich ist insbesondere wichtig, dass wir einen bundesweiten Mietendeckel einführen, damit wir Zeit gewinnen, um neue bezahlbare Wohnungen zu bauen und den Mietmarkt zu entlasten.

(3) Verkehr

In Berlin sind derzeit so viele Personenkraftwagen zugelassen wie nie zuvor. Was wollen Sie mit Blick auf den Klimawandel dagegen tun? Sollte das Auto ganz aus der Innenstadt verbannt werden und halten Sie sogenannte Kiezblocks ohne Durchgangsverkehr für sinnvoll?

Nein, Verbote bringen nichts und sind kontraproduktiv. Viele Menschen sind auf Autos angewiesen und ohne den Lieferverkehr würden unsere kleinen Gewerbe vor Ort zugrunde gehen. Was wir brauchen, ist ein Verkehrspolitik für alle. Das bedeutet aber auch, gezielt Kiezblocks voranzutreiben, um besondere Orte zu entlasten. Es geht jetzt darum, von der Klientelpolitik wegzukommen und wirklich Politik für alle zu machen.

(4) Inklusion

In der UN-Behindertenrechtskonvention wird gefordert, dass Menschen mit Behinderung ohne Einschränkung am öffentlichen Leben teilhaben können. Dies ist in Berlin nach wie vor leider nicht der Fall (U-Bahnhöfe ohne Aufzug, Kulturveranstaltungen überwiegend am Abend, zu wenige Übersetzungen in Leichte Sprache etc.). Wie wollen Sie das ändern?

Das stimmt, in Berlin wird zu wenig für Menschen mit Behinderung getan. Mein persönlicher Anspruch ist, dass Berlin zu 100% barrierefrei wird – auch wenn das aufgrund des Denkmalschutzes schwierige Umsetzungen erfordert. Doch Berlin muss eine Stadt für alle sein, ob sie mobilitätseingeschränkt sind oder nicht. In der SPD haben wir dem jetzt noch mehr Bedeutung zugewiesen und den Arbeitskreis ‚Selbst Aktiv‘ gegründet. Damit wollen wir die Barrierefreiheit flächendeckend voranbringen. Das bedeutet auch, dass wir zahlreiche Dinge neu überdenken: Öffentliche Verlautbarungen müssen einfacher werden, wir müssen Pläne noch besser auf die Lebensrealität von Menschen zuschneiden und viel enger mit Betroffenen zusammenarbeiten, um Berlin in all seinen Formen zugänglich für alle zu machen.

(5) Wahlrecht

Bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen sind viele Bürger:innen mit Migrationshintergrund nicht wahlberechtigt, obwohl sie schon lange in Berlin leben. Seit Jahren fordern Initiativen ein „Wahlrecht für Alle“. Wie ist Ihre Position dazu?

Das ist ein Skandal und muss sich sofort ändern. Dafür trete ich an, das ist mir ein Herzensanliegen. Es darf nicht sein, dass Menschen hier leben und dann nichts zu sagen haben. Seit Jahren kämpfe ich dafür, dass auch Nicht-EU-Ausländer:innen auf kommunaler Ebene aktives und passives Wahlrecht bekommen. Erforderlich ist auch, dass Menschen, die seit Jahren in diesem Land leben auch bei Volksentscheiden mitwirken können. Wir haben hier ein echtes Gerechtigkeitsproblem. Das will ich ändern und das Wahlrecht für alle umsetzen.

(6) Verhältnis Bürger:innen / Politik

Viele Bürger:innen beklagen eine zunehmende Entfernung der Politik von ihrem Alltag. Folgen Sie selbst mehr Ihrem Gewissen, dem Wählerauftrag oder dem Fraktionszwang? Und warum reden Politiker:innen häufig so kompliziert?

Ich trete an, um Politik anders zu machen. Deshalb habe ich meinen Fokus auch darauf gelegt, so viele Menschen wie möglich zu besuchen. Denn für mich ist klar: Sobald ich den Kontakt zu den Menschen vor Ort verliere, wird Politik abgehoben. Und dann wird die Sprache auch oft kompliziert. Wer aber ständig neue Menschen trifft und sich mit den Problemen vor Ort – sei es am Kotti oder in der Oranienstraße – auseinandersetzt, der oder die macht auch bessere Politik. Meine Arbeit betrifft die Menschen vor Ort: wie soll der Verkehr beruhigt werden? Wie machen wir den Bezirk sicherer? Wie sorgen wir dafür, dass alle gut und günstig leben können? Das geht nur, wenn man den Bewohner:innen von Kreuzberg nah ist – das ist mein Anspruch. Ich verstehe mich als Volksverhetzerin und mein Gewissen spielt bei meinen Entscheidungen immer eine Rolle.

(7) Corona

Die Corona-Pandemie ist noch lange nicht vorbei. Falls die Infektionszahlen weiter steigen, sollte es nach Ihrer Ansicht im Winter erneut einen Lockdown geben und was halten Sie von einer allgemeinen Impfpflicht?

Nein, wir sind gegen eine allgemeine Impflicht. Allerdings müssen wir die Voraussetzung einer Impfung bei bestimmten Berufsgruppen diskutieren. Wenn Kinder nicht geimpft sind, sollten Lehrer:innen das Impfangebot wahrnehmen. Und in der Pflege ist die Impfung lebensentscheidend. Konkret sollten wir die Hürden für Impfungen weiter senken, mit mobilen Einsatzteams, einer noch stärkeren Kampagne und unkomplizierten Angeboten. Wir müssen jetzt die vierte Welle brechen, nur so verhindern wir eine vierte Welle. Wir müssen alles tun, um einen „Lockdown“ zu verhindern, aber das gelingt nur, wenn die Infektionszahlen und Bettenbelegungen nicht weiter steigen.

Sevim Aydin, SPD