(1) Klimawandel

Der Klimawandel betrifft auch Berlin. Was sind aus Ihrer Sicht die drei wichtigsten Maßnahmen, um ihn aufzuhalten oder zumindest zu verlangsamen?

Wir gehen davon aus, dass sich Ihre Frage auf Maßnahmen bezieht, die in Berlin durchgeführt werden können. Berlin muss so schnell wie möglich klimaneutral werden. Dort, wo die Landespolitik dafür die Möglichkeiten hat, wird Berlin alles unternehmen, um bis spätestens 2035 dieses Ziel zu erreichen. Bis 2030 geht das letzte Berliner Kohlekraftwerk vom Netz. Die Berliner Energiewende wird fortgeführt: Zukünftig sollen in Berlin 25 Prozent des Energiebedarfs durch Solarkraftwerke auf den Berliner Dächern produziert werden. Zudem ist es wichtig, dass wir die Stadt fit machen für die Auswirkungen der Klimakrise, wie extreme Wetterereignisse (Starkregen, lange anhaltende Dürreperioden). Hierzu müssen wir die grüne Infrastruktur Berlins ausbauen, dies bedeutet konkret, dass z.B. mehr Bäume gepflanzt, Flächen  entsiegelt und Grünflächen besser gepflegt und geschützt werden. Auch die Ernährungs- bzw. Agrarwende ist einer der wichtigen Bausteine bei der Entwicklung der Maßnahmen (bzw. Anpassung) gegen den Klimawandel, da durch die Landwirtschaft bzw. die Art und Weise, wie wir uns ernähren, beeinflußen wir Menschen das Klima sehr (Stichworte; Massentierhaltung, Futterimporte, Pestizideinsatz o.ä.).

(2) Wohnen

Die Mieten in Berlin klettern immer höher, gleichzeitig steigt das Risiko für Mieter:innen, wegen Umwandlung in Eigentums-, Ferienwohnungen etc. gekündigt zu werden. Was wollen Sie dagegen unternehmen und halten sie speziell die Enteignung großer Wohnungsunternehmen für hilfreich?

Der Berliner Wohnungsmarkt ist in den vergangenen Jahren völlig aus dem Ruder geraten, vor allem durch die Privatisierungswelle in den 2000ern. Es sollen zukünftig mindestens 50 Prozent aller Wohnungen in Berlin gemeinwohlorientiert angeboten werden. Um dies zu erreichen, wollen wir, dass das Land Berlin einen Mietenschutzschirm entwickelt. Vermieter*innen, die sich gemeinwohlorientierten Kriterien wie Mietenmoratorium und fairer Wiedervermietung rechtlich verbindlich verpflichten, werden besonders unterstützt und gefördert, etwa durch einen besseren Zugriff auf städtische Grundstücke. Der Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ ist mehr als ein Weckruf an die regierende Politik, dass dem im Grundgesetz festgeschriebenen Leitsatz „Eigentum verpflichtet“ auch im Bereich Wohnen und Boden Geltung verschafft werden muss. Wir unterstützen die Ziele des Volksbegehrens. Zentral dabei ist, die Mieterinnen und Mieter zu schützen, Spekulationen Einhalt zu gebieten und den gemeinwohlorientierten Wohnungsbestand zu erhöhen.

(3) Verkehr

In Berlin sind derzeit so viele Personenkraftwagen zugelassen wie nie zuvor. Was wollen Sie mit Blick auf den Klimawandel dagegen tun? Sollte das Auto ganz aus der Innenstadt verbannt werden und halten Sie sogenannte Kiezblocks ohne Durchgangsverkehr für sinnvoll?

Wir werden den Durchgangsverkehr aus den Kiezen heraushalten und immer mehr autofreie Inseln in ganz Berlin schaffen. Spielstraßen, Nachbarschaftsstraßen, autofreie Kieze, Kiezblocks und Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung wollen wir weiterhin fördern und ausweiten. Ihre Einrichtung wollen wir durch einen zentralen Leitfaden, klare Zuständigkeiten und ausreichende Ressourcen vereinfachen. Insbesondere wollen wir die Bezirke unterstützen mit einem Programm zur Finanzierung von Planung und Umsetzung von Kiezblocks. Unser Ziel ist es, in Berlin mehrere Kiezblocks einzurichten und diese begleitend zu evaluieren und auf ihre verkehrlichen, sozialen und Umwelt-Effekte und ihre Akzeptanz zu untersuchen. Wir wollen  die Innenstadt zu einer Null-Emissions-Zone umgestalten, in die weitestgehend keine Fahrzeuge mit klima- und gesundheitsschädlichem Verbrennungsmotor mehr fahren dürfen. Dabei geht es auch darum, dass wir Alternativen zum  motorisierten individuellen Verkehr entwickeln, so dass immer mehr Menschen in Berlin auf ihr Auto verzichten können.

(4) Inklusion

In der UN-Behindertenrechtskonvention wird gefordert, dass Menschen mit Behinderung ohne Einschränkung am öffentlichen Leben teilhaben können. Dies ist in Berlin nach wie vor leider nicht der Fall (U-Bahnhöfe ohne Aufzug, Kulturveranstaltungen überwiegend am Abend, zu wenige Übersetzungen in Leichte Sprache etc.). Wie wollen Sie das ändern?

Der öffentliche Personennahverkehr muss für alle zugänglich sein. Eine Stadt für alle bedeutet Mobilität für alle. Dafür stehen wir. Deshalb muss der Umbau aller Bahnhöfe und Haltestellen im Verkehrsverbund mit einem barrierefreien Zugang schnellstmöglich abgeschlossen werden. Hierfür haben wir der BVG und den Bezirken bereits viel Geld zur Verfügung gestellt. Menschen mit Behinderung, ältere Menschen oder Fahrgäste mit kleinen Kindern sollen problemlos alle Bahnsteige und Haltepunkte erreichen können, um das Angebot des ÖPNV nutzen zu können. Im Mobilitätsgesetz haben wir einen barrierefreien ÖPNV vorgeschrieben. Auch deshalb haben wir die BVG mit dem Pilotprojekt „Alternative Barrierefreie Beförderung“ beauftragt. Dieses Angebot wollen wir sukzessive auf ganz Berlin ausweiten. Gleichzeitig setzen wir uns dafür ein, die Anzahl der barrierefreien Taxis im öffentlichen Raum deutlich zu erhöhen, um echte Mobilität für alle zu verwirklichen. Auch in anderen Bereichen der Teilhabemöglichkeiten (Abbau der Sprachbarrieren, Ausbau der Kinderbetreuung,  Kulturangebote in anderen Tageszeiten ...) gibt es noch viel zu tun. Dafür müssen  bedarfgerechte Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt werden.

 

(5) Wahlrecht

Bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen sind viele Bürger:innen mit Migrationshintergrund nicht wahlberechtigt, obwohl sie schon lange in Berlin leben. Seit Jahren fordern Initiativen ein „Wahlrecht für Alle“. Wie ist Ihre Position dazu?

Wer in Berlin gemeldet ist, soll hier auch wählen dürfen: Wir werden weiterhin auch auf der Bundesebene dafür kämpfen, dass das Kommunal-,   Landes- und Bundeswahlrecht auf alle ab 16 Jahren ausgeweitet werden, die ihren Lebensmittelpunkt in Berlin, in Deutschland haben, und dass Einbürgerungen erleichtert werden: Wer in Deutschland geboren wird, soll  automatisch Staatsbürger/in Deutschlands  werden.

(6) Verhältnis Bürger:innen / Politik

Viele Bürger:innen beklagen eine zunehmende Entfernung der Politik von ihrem Alltag. Folgen Sie selbst mehr Ihrem Gewissen, dem Wählerauftrag oder dem Fraktionszwang? Und warum reden Politiker:innen häufig so kompliziert?

Ich folge als Abgeordneter bei schwierigen Entscheidungen meinem Gewissen, gleichzeitig fühle ich mich dem Wählerauftrag, die die Menschen in meinem Wahlkreis mir erteilt haben sehr verpflichtet. Ich glaube daran, dass Politik möglichst niedrigschwellig für Menschen erreichbar sein muss. Mir ist es daher sehr wichtig, vor Ort und nah dran zu sein. Auch außerhalb von Wahlkampfzeiten bin ich deshalb jeden Monat mit Infoständen in meinem Wahlkreis unterwegs. Ich habe für jedes Anliegen aus meinem Wahlkreis ein offenes Ohr und konnte in den vergangenen Jahren bei vielen kleineren und größeren Problemen helfen. Bzgl. der Frage, wieso Politiker häufig so kompliziert reden, muss ich sagen, dass oft die Themen  sehr komplex sind. Ich sehe es aber als sehr wichtige Rolle von politischen Entschiedungsträgerinnen und -trägern, dass sie Politik so kommunizieren, dass die Themen verständlich sind. 

(7) Corona

Die Corona-Pandemie ist noch lange nicht vorbei. Falls die Infektionszahlen weiter steigen, sollte es nach Ihrer Ansicht im Winter erneut einen Lockdown geben und was halten Sie von einer allgemeinen Impfpflicht?​

Die Covid-19-Pandemie ist leider noch längst nicht zu Ende. Vorsicht ist weiter geboten. Aber die Situation hat sich geändert, insbesondere durch die Zahl der Geimpften. Deshalb haben die Grünen im Bundestag auch gegen die unveränderte erneute Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite gestimmt. Die Impfanstrengungen müssen weiter forciert werden.  Eine generelle gesetzliche Impfpflicht halten wir allerdings nicht für einen geeigneten Weg, um die Impfquoten gerade bei Erwachsenen weiter zu erhöhen. Deutschland hat noch keine hinreichend hohe Impfquote. Das bisherige inzidenzbasierte System muss zu einem klaren Stufensystem umgebaut, das nicht mehr allein auf die Inzidenz sondern insbesondere auch auf die Auslastung der Intensivbetten-Kapazität abstellt.

Turgut Altug, Bündnis90/Die Grünen