Das Interview

mog61: Du bist seit Jahrzehnten in der Berliner Blues-Szene unterwegs. Hast Du eine feste Band?

Doc Blue: Ich hatte einmal eine feste Blues-Band, aber das hat sich mit der Zeit wieder aufgelöst. Im Moment mache ich jede Woche Sessions in Kreuzberger Kneipen, da trifft man viele und es macht Spaß, mit verschiedenen Leuten immer wieder was anderes zu spielen. Das heute war ein Projekt mit jüngeren Musikern. Das war keine eingespielte Truppe, ich wollte ihnen einfach Gelegenheit geben, mal einen ganzen Auftritt mit mir zu machen. Bei diesen Jam-Sessions spielen sie immer nur drei Stücke und dann kommt der nächste.

Marty Sennewald am Keyboard fand ich total Klasse!

Ja. Er macht auch Straßenmusik, er spielt halt dauernd. Aber das tun sie eigentlich alle. Sie sind nicht nur am Wochenende im Keller zum Üben, sondern spielen ständig. Zum Teil nehmen sie auch Unterricht auf ihren Instrumenten.

Wenn du als Frontman die Hand gehoben hast, kam immer gleich das Schlagzeug. Habt ihr Codes ausgemacht, wie sie auf dich reagieren?

Die Hand hebe ich meistens, wenn eine Pause gemacht werden soll. Pausen, in die man dann reinsingt oder sowas. Ansonsten hab ich nur ganz dezente Signale gegeben. Zum Beispiel gegen Schluss, da dreh ich mich immer um. Dann wissen sie: Aufpassen, nicht einfach weiterspielen!  

Deine Musiker haben die Blues-Standards alle drauf?

Das wird vorausgesetzt, dass man Blues an sich … , dass man das kann. Damit kannst du dann recht viele Stücke machen. Aber natürlich macht es Spaß, wenn man auch Stücke spielt wie „Stand by Me“ oder „Sittin‘ on the Dock of the Bay“. Das ist nicht unbedingt selbstverständlich. Da muss man sehen, wer das kann und wer nicht.

Wie lange spielst du selbst deine Instrumente? Gitarre bestimmt schon ewig.

Gitarre spiele ich schon sehr lange, schon 50 Jahre. Daraus könnt Ihr schließen, wie alt ich ungefähr bin (lacht). Das ist jetzt nicht so, dass man sagt: Ich muss da üben … Man setzt sich ja dauernd hin und greift zur Gitarre. Dadurch entwickelt sich das immer weiter und man bleibt so im Fluss.

Aber Saxofon hast du neu gelernt?

Das Saxofon mach ich erst seit 15 oder 20 Jahren ungefähr. Und da spiele ich dann auch mehr Jazz-Geschichten.

Du bist ein sehr begabter Musiker. Warum hast du es mit deinem Talent nicht auf die große Bühne geschafft?

Naja, das liegt vor allem daran, dass ich das jetzt erst verstärkt mache, nachdem ich nicht mehr arbeite. Ich hatte mein ganzes Leben lang einen normalen Beruf, da ging es mit der Musik immer nur langsam voran. Aber jetzt, seit zehn Jahren, kann ich mehr entwickeln. Außerdem ist es natürlich aussichtsreicher, wenn man eigene Songs macht. Musikalisch und vor allem vom Text her. Wir machen ja eigentlich nur Cover, also jedenfalls Sachen, die es schon gibt. Beim Blues kann man alles Mögliche so ähnlich spielen, wie es schon immer war. Das ist keine eigene neue Produktion in dem Sinne. Damit kann man sich schlecht auf einer größeren Ebene durchsetzen.

Der Blues, diese Art von Musik überhaupt, ist das ein Relikt aus deiner Jugendzeit?

Das ist für mich natürlich eine Erinnerung, das kommt aus der Zeit, in der ich damit angefangen habe. Aber ich glaube, das ist auch eine relativ zeitlose Musik. Blues wird immer noch gespielt. Bei, sagen wir, Schlagern aus den 50er oder 60er Jahren würde man sagen: Das ist ein sehr spezielles Programm! Aber Blues oder Jazz ist eine Sache, die kannst du immer bringen.

Das Konzert heute, hast du gesagt, war eine Art Nachwuchsförderung. Was würdest du jungen Musikern generell als Ratschlag geben?

Es gibt zwei Wege. Wenn man ein fachlich guter Musiker sein möchte und davon leben will, als Studiomusiker, dann muss man vielseitig sein, man muss Kompromisse machen. Da hilft nichts. Aber wenn man groß herauskommen will mit irgendwas, das ist der zweite Weg, dann muss man auf Originalität setzen. Das kann man nie wissen und es ist natürlich höchst unwahrscheinlich, dass das gelingt, aber es kommt vor. Dann muss man möglichst eigene Texte haben oder eigene Songs, und so kann man das vielleicht schaffen.

Merkst du da einen Unterschied in der Mentalität im Vergleich zu der Zeit, als du selber jung warst?

Das war ja damals die 68er- und die Kurz-Nach-68er Zeit. Da wurde mit der Musik oft ideologisch mehr verbunden als heute. Das hat sich ein bisschen vermischt. Das gehörte zu der Aufbruchsbewegung der 68er damals mit dazu, die Rockmusik, auch die blueslastige Rockmusik. Das ist heute weniger der Fall. Die Leute verbinden damit nicht gleich ein Weltbild.

Wenn du selbst die Welt ändern könntest, was würdest du vorschlagen, damit es uns allen besser geht?

Na ja, wir müssen natürlich ein globales Umweltbewusstsein entwickeln, das scheint mir im Moment das Vordringlichste zu sein. Und das zweite wäre, dass die Gesellschaft ein bisschen gerechter werden muss. Im Moment spielt der Profit die Hauptrolle, die einzige Rolle eigentlich. Vom Grundsatz her würde ich das überhaupt nicht abschaffen wollen, der Markt muss schon die Grundlage sein. Aber man sieht ja an den vielen Minijobbern, die noch Hartz IV beziehen müssen, dass da was schiefgelaufen ist.

Hast du einen Lieblingssänger oder eine Lieblingsband?

Beim Blues würde ich eindeutig Ray Charles nennen. Auf jeden Fall.

Und einen Song?

„Hallelujah, I Love Her So“, zum Beispiel.

Du warst Beamter und hattest ein sicheres Einkommen. Hast du nicht manchmal trotzdem vor dem Einschlafen von einer richtig großen Karriere als Musiker geträumt?

Ich glaube, dass es schwer ist, sich durchzusetzen. Ich kenne Leute, die die gleiche Art von Musik machen, die ich hier gespielt habe. Die auf größeren Bühnen stehen und besser sind, weil sie das ihr Leben lang gemacht haben, aber trotzdem nicht auf den ganz großen Zweig kommen. Die spielen trotzdem bei mir im Bierhaus Urban auf einer Session den Opener. Sie sind froh, wenn sie ein größeres Konzert haben und 500 Euro rüberkommen, aber sonst spielen sie eben auch für 50 oder 100 Euro. Deswegen wäre ich vorsichtig. Der Erfolg ist ganz unberechenbar.

Ich habe dich bisher dreimal gehört, immer mit deiner Mundharmonika. Heute fand ich dich am besten. Wie lange spielst du Mundharmonika und wo hast du das gelernt?

Ich hab das überhaupt nicht gelernt. Ich hab sie einfach immer so benutzt, beim Blues-Spielen eingestreut und durch Spielen hab ich es gelernt. Ich habe festgestellt, dass es sehr effektvoll ist, obwohl es eigentlich weniger Arbeit macht. Das Verhältnis zwischen Aufwand und Ergebnis ist bei der Mundharmonika sehr günstig. Deshalb macht es mir auch besonders viel Freude, das ein bisschen nebenbei zu spielen.

Doc Blue mit Band

am 15.12.2018

im Bad Kreuzberg

„Siggi“ Doc Blue gehört seit Jahrzehnten zur Berliner Blues-Szene. Tatsächlich hat er an einer Berliner Musikschule eine Gesangsausbildung als Bariton absolviert und ist auch schon mal mit Mozart- oder Verdi-Arien, mit klassischen Liedern, Schlagern oder Sinatra-Songs zu hören. Er kümmert sich zunehmend um den musikalischen Nachwuchs und organisiert Blues- oder Jazz-Sessions, um junge Künstler zu fördern.

Besetzung: Doc Blue (Gesang, Gitarre, Mundharmonika, Saxofon), Marty Sennewald (Keyboard), Marc Albertz (Bass), Mirco Welle (Schlagzeug).

Echo Doc Blue

Wir waren sehr zufrieden mit Vorbereitung und Durchführung der Veranstaltung seitens mog61. Das Publikum ging m.E. sehr gut mit. Leider konnten wir  nicht allzu viele eigene Fans motivieren, aber dafür einige neue kennenlernen. Für uns stand ohnehin die Aufnahme für eine CD im Vordergrund. Als Leiter einer ständigen Blues-Session in einem anderen Lokal ist es mir ein Anliegen, junge Musiker, die dort positiv in Erscheinung treten, zu fördern. Der Auftrittstermin war nützlich, weil er es mir ermöglicht hat, diesen jungen Kollegen auch mal einen richtigen Auftritt zu bieten und zur Vorbereitung mit ihnen zielorientiert zu proben. Damit haben wir das Netzwerk, das durch lose Kontakte bei Jam Sessions ansatzweise entsteht, gefestigt und uns für weitere Auftritte fit gemacht. Die CD – sie liegt leider noch nicht vor, ist aber angekündigt – wird uns helfen, diese Formation zu bewerben.

Echo Bad Kreuzberg

Ich war mit dem Konzert zufrieden, auf jeden Fall. Es waren nicht so viele Leute da, wie ich mir gewünscht hätte. Ich habe etwas zu wenig Werbung gemacht oder ich habe zu spät damit angefangen. Mit mog61 arbeite ich gerne zusammen, es gibt nie irgendwelche Probleme. Die Organisation hat insgesamt funktioniert. Die Tontechnik war gut. Problem war nur die Polizei. Ich vermute, da hat sich ein Nachbar gestört gefühlt.

Düzgün Gönül, Bad Kreuzberg

Das Interview führten Marie Hoepfner und Klaus Stark für mog61 nach dem Konzert.